Interview mit Bettina Rutsch zur aktuellen Lage

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25.03.2020 Lara-Sofie Boland

Die Corona Situation hat uns alle fest im Griff. Wir wollten wissen, wie sich die Auswirkungen ganz konkret zeigen und führten dazu ein Interview mit Bettina Rutsch, welche in den Themen Tanz, Theater und Literatur wandelt.

Interview mit Bettina Rutsch zur aktuellen Lage

Ihr Projekt "Don Juan - Opera e Motion" in der Theaterkasse musste aufgrund der
Corona Krise abgesagt werden. Wir sehr trifft Sie dies emotional und materiell?

Heute (am 24.3.) wäre die Premiere gewesen. Mittlerweile habe ich mich an die Aussicht gewöhnt, das Stück bis zum Tag X weiterzuproben und hoffe, dass ich die Premiere in halbwegs absehbarer Zeit nachholen kann. Als am Freitag der vorletzten Woche die Absage kam, hat mich das zunächst sehr getroffen. Ich war gerade auf dem Weg zur Probe, als mich der Anruf aus dem Theater Duisburg erreichte. Zwar war es abzusehen, dass das Veranstaltungsverbot sich immer mehr ausweiten würde, aber bis kurz vor der Absage hatte es noch geheißen, dass zumindest alle Veranstaltungen unter 200 Zuschauern stattfinden könnten. Und mein Spielort, die Theaterkasse Duisburg, hat nur 30 Plätze pro Vorstellung. Die Situation änderte sich dann quasi stündlich, wir alle wurden davon überrollt.

Seit über einem halben Jahr habe ich meine gesamte Energie und Konzentration auf diese Produktion konzentriert. Vorangegangen waren gerade im vergangenen Jahr intensive grundsätzliche Überlegungen, wie ich meine künstlerische Arbeit besser gestalten kann (mehr Aufführungen vor kleinerem Publikum) und welches Thema mich so beschäftigt, dass ich den enormen Aufwand an Zeit und Nerven für eine weitere Low Budget-Neuproduktion angehen wollte. Mit „Don Juan“ in der Theaterkasse (5 Vorstellungen vor 30 Zuschauern) hatte ich genau das gefunden, was mir vorschwebte: Eine ganz tolle Location genau für dieses Projekt und mein neues Inszenierungsformat „Opera e Motion“. Und dann von jetzt auf gleich von 100 auf 0 zu wechseln – das hat sich angefühlt wie eine Kombination aus Todesfall und plötzlicher Arbeitslosigkeit, das meine ich ernst. Wie gesagt, mittlerweile habe ich mich an den Zustand gewöhnt.

Materiell hoffe ich auf das Soforthilfeprogramm des Landes NRW für solche Ausfälle. Gerade bin ich dabei, den Antrag zu stellen.

Wie sieht ihr Tagesablauf zurzeit aus? Können Sie adäquat trainieren?

Mein Tagesablauf hat sich kaum geändert, nur dass meine Tanzkurse und Trainingsklassen  abends nicht stattfinden können und ich noch nicht weiß, wie es in diesem Semester mit meinem Lehrauftrag an der Evangelischen Hochschule Bochum weitergeht. Ich habe das große Glück, die Räume der Tanzwerkstatt Ulla Weltike nutzen zu können, in denen ich seit vielen Jahren arbeite. Da ich auch normalerweise fast immer allein trainiere und probe, fühlt sich alles an wie gewohnt. Ich gehe einfach jeden Tag in den Tanzsaal und trainiere und probe meinen „Don Juan“.

Dieses endlose „Warmhalten“ einer Neuproduktion ohne Zuschauer ist allerdings nicht unproblematisch: Einerseits muss ich immer wieder Durchläufe machen, um die Choreographien und den anspruchsvollen Text von E. T. A. Hoffmann nicht aus dem Körper zu verlieren, andererseits muss ich aufpassen, dass die tollen original venezianischen Masken, mit denen ich bereits seit vielen Monaten probe, durch die dauernde Beanspruchung nicht verschleißen. Die Masken stehen im Mittelpunkt der Inszenierung, sie sind unersetzlich. Deshalb probe ich jetzt Masken-Choreographien ohne Masken und spiele immer wieder meinem Spiegelbild dasselbe Stück vor. Ich finde es aber immer noch unterhaltsam, das tröstet mich ;-)

Wie lange, glauben Sie, wird dieses isolierte Leben für uns alle weiter gehen?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich fürchte aber, dass es viel länger dauern wird als wir uns das alle wünschen.

Haben Sie Tipps wie man sich in dieser Zeit die Langeweile vertreiben kann?

Ich habe mich bisher noch nicht eine Sekunde gelangweilt. Arbeit und Haushalt nehmen ja schon einen Teil des Tages ein. Um freie Zeit zu füllen gibt es so viele wunderbare Bücher, die man lesen oder einander vorlesen kann, Musik, die man hören, neu entdecken oder selbst machen kann, falls man ein Instrument spielt. Man kann kochen, backen, alles Mögliche Kreative tun. Ich persönlich gehe außerdem gerne spazieren oder fahre ein Stündchen mit dem Rad, zur Zeit natürlich nur auf Wegen, wo man keinem Menschen begegnet, z. B. kreuz und quer durch den Wald, immer dort, wo gerade kein anderer zu sehen ist. Die tägliche Kombination von Bewegung und Beschäftigung mit schönen und spannenden Dingen wie Literatur, Musik, Kunst, Filmen etc. ist mein persönlicher Tipp, übrigens auch für normale Zeiten.

Haben Sie Kontakt zu anderen Künstlerinnen/Künstlern? Was wissen Sie über deren Situation?

In meinem aktuellen Projekt arbeite ich zwar nicht mit anderen Künstlerinnen/Künstlern zusammen. Insgesamt ist die Situation aber für alle freiberuflichen Kulturschaffenden, insbesondere die darstellenden KünstlerInnen und MusikerInnen, die ja ohnehin finanziell oft unterbezahlt und schlecht abgesichert sind, existenzbedrohend. Ich wünsche mir sehr, dass nach der Corona-Pause die Leute keinen Bildschirm, kein Handy-Display und keine Couch mehr sehen können und jeden Abend Theater und Konzerte bevölkern werden!

Denken Sie, dass das Corona Virus noch nachtragende Auswirkungen auf die  Kunstszene haben wird?
Zum Beispiel, weil Menschen zu Beginn Schauplätze mit einer großen Masse (Theatervorstellungen, Festivals,…) vielleicht erstmal meiden werden.

Das kann ich mir leider gut vorstellen. Die Corona-Pandemie wird sicherlich Folgen für das öffentliche Leben haben, die wir heute noch nicht abschätzen können.

Wie sehen ihre Pläne für das 2. Halbjahr 2020 aus?

Wenn es irgendwie möglich ist: Nachholen der Premiere und Folgeaufführungen meines „Don Juan“. Erst danach fange ich damit an, andere Projekte zu denken.

Sie haben in ihrem Leben schon viele unterschiedliche Dinge gemacht. Gibt es etwas, dass Sie in ihrem Leben noch unbedingt machen/erreichen möchten?

Was ich seit Jahren erreichen möchte, versuche ich gerade einmal wieder mit dem „Don Juan“: Ich möchte meine Stücke öfter spielen als 1-3 Male pro Produktion, mehr Zuschauer erreichen und irgendwann einmal meine Projekte angemessen finanzieren können, so dass ich z. B. bei der Technik und der Honorierung meiner MitarbeiterInnen und meiner eigenen Arbeit mehr Spielraum habe. Die neue Reihe „Opera e Motion“ möchte ich gerne weiterführen (sonst wäre es ja keine Reihe ;-)), ich habe schon eine Idee für ein neues Projekt...

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Lara-Sofie Boland

 

Weitere Informationen zu Bettina Rutsch finden sie unter folgenden Links:

https://www.kulturbeutel-duisburg.de/kuenstler/rutsch-bettina

http://www.bettinarutsch.de/

 

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