Interview mit Andreas Klees zur aktuellen Lage

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26.03.2020 Lara-Sofie Boland

Wir trafen uns auch mit dem Multiinstrumentalist Andreas Klees (Die Ganz Normalen Bürger, ex Kochkraft durch KMA, ex Thalamus), um auch mit ihm ein Gespräch über seine gegenwärtige Situation zu führen und ein Stimmungsbild zu erhalten.

Interview mit Andreas Klees zur aktuellen Lage

Herr Klees, sie sind Musiker, aber auch Musiklehrer, wie sehr macht ihnen die gegenwärtige Situation zu schaffen?

Ich möchte es mal so formulieren; ganz akut, am heutigen Tage, geht es mir noch ganz gut. Ich hatte ohnehin keine Auftritte in der bisherigen Zeit anstehen, so dass mir keine Gagen fehlen. Die Musikschulen und Schüler*innen sind einerseits sehr kulant und bemüht, Zahlungen aufrecht zu erhalten und andererseits kann ich auch einige Unterrichtseinheiten virtuell, durch Videoschaltung oder Materialbereitstellung, ausgleichen. Allerdings gibt es auch bereits die ersten Eltern, die die Beiträge nicht mehr stemmen können, weil sie selbst in verschiedenen Bereichen selbständig sind und momentan ganz direkt alle Einnahmen versiegt sind.

Auch für mich kann es bereits in drei Wochen leider ganz anders aussehen. Einige Arbeiten, wie zum Beispiel Audioproduktionen, führe ich ohnehin von zuhause aus durch. Da versuche ich gerade Projekte zu Ende zu bringen (bspw. eine EP mit der letztjährigen Euro Rock Band „Bakali“), um zumindest ein bisschen finanziell gewappnet zu sein, für die für mich nun sicherlich kritisch werdenden Zeiten. Für den Moment läuft es also noch einigermaßen weiter, aber je nachdem, wie die Corona-Krise weiter verläuft, und wenn der Musikschulbetrieb nach den Osterferien nicht wieder aufgenommen werden kann (und das sehe ich noch mehr als kritisch), sieht die Situation schon anders aus und ich kann in ziemlich kurzer Zeit ohne Jobs dastehen. Zudem fallen mir nun in der kommenden Zeit akut Jobs weg, die ich organisatorisch bereits auf den Weg gebracht hatte. So wollte ich nun im April beginnend einen als Modul aufgebauten Workshop zu Songwriting und Recording für die Schüler*innen der Ruhrtalente in Gelsenkirchen starten, der nun natürlich erstmal auf Eis liegt. Da ich ansonsten neben dem Konzert- und Studiobetrieb, sowie dem Instrumentalunterricht momentan viel mit Workshops zu tun habe, bricht mir hier natürlich ein ziemlich großer Zweig weg und es bleibt völlig ungewiss, wann ich meine Tätigkeiten mit den verschiedenen Trägern wieder aufnehmen kann. Ich probiere momentan einfach so viel wie möglich online mit meinen aktuellen Schülern zu agieren und halte die Augen auf nach geeigneten Fördertöpfen und den ein wenig schwindenden Bürokratien. Angesichts des Ungewissen der weiteren viralen Verbreitung und dem weiteren Verlauf meiner eigenen Existenz, habe ich allerdings noch kein fertiges Konstrukt in der Schublade liegen. So geht es sicherlich vielen aktuell. Ich sondiere sehr viel im Internet und versuche up to date zu bleiben, welche Stellen welche Fördermöglichkeiten tun sich auf, da ist momentan viel in Bewegung, aber es bedarf auch noch einiger weiterer Arbeit und vor allem muss immer erst überprüft werden, für welche Option man eigentlich selbst alle Voraussetzungen mitbringt, wie Nachweise erbracht werden müssen und bei welchen Programmen man auch von vornherein rausfällt. Einen gecancelten Gig kann ein Musiker sicherlich gut nachweisen, aber solche Workshop Reihen, die nicht stattfinden können, stehen da auf einem ganz anderen Papier.

Meine Informationen zu Notfallpaketen bekomme ich übrigens auf direktem Wege durch mein Netzwerk an Musikern um mich herum, aber auch über Facebook Seiten und über den sehr informativen Newsletter aus dem Kulturbüro Duisburg, wo Daniel Jung immer sehr flink wichtige Informationen durchreicht und zusammenstellt. Hier lese ich immer mit. Ganz sorgenfrei bin ich nicht, ich habe eine Familie zu ernähren, die zudem im Sommer den nächsten Nachwuchs erwartet, aber generell bleibe ich positiv und versuche immer aktiv zu bleiben, ob im Kreativen oder bei der Recherche. Ich denke, das kann helfen, mit der eigenen Situation klarzukommen. Sich also nicht irgendwie komplett plätten zu lassen von allem Ungewissen, sondern sich selbst weiterhin als gestaltenden Menschen verstehen zu können. Ich baue zum Beispiel gerade meine Möglichkeiten des online Unterrichtens aus, lerne neue Technik und neue Programme kennen, die mir dann auch in einer wie auch immer gearteten Nach-Corona-Zeit helfen können für weitere Jobs.

Das macht mir ein gutes Gefühl.

Denken Sie, dass das Corona Virus noch nachtragende Auswirkungen auf die Kunstszene haben wird?
Zum Beispiel, weil Menschen zu Beginn Schauplätze mit einer großen Masse (Konzerte, Festivals,…) vielleicht erstmal meiden werden.

Kultur, Kunst und Wirtschaft lassen sich ja nie ganz trennen. Blöd gesagt: „Ohne Moos nix los.“ Das bekommen gerade sehr viele Berufsgruppen und ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten zu spüren. Ich glaube also, dass neben strukturellen Unterschieden, wie zum Beispiel der Art und Weise wie Konzerte und Events aufgezogen werden, vor allem auch in der Vorbereitung und in der Finanzierung sowie Durchführung von Projekten erhebliche Einschnitte wahrzunehmen sein werden.

Wie sich die Festivalkultur zu verändern vermag, kann ich mir aktuell kaum ausmalen. Das ist so eine große Sache, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es an dieser Front weiterlaufen wird. Seien es Restriktionen, die mindestens diesen Sommer wirken werden, seien es Ängste von potentiellen Besuchern. Toll finde ich, wie momentan Konzerte von etwas kleineren Dimensionen und Kunstevents schon auf virtuellem Wege weiterhin Gemeinschaft stiften können und #stayhome mit Livefeeling gekoppelt werden kann. Hier ist sicherlich noch einiges möglich, Macher wie Rezipienten lernen glaube ich gerade in sehr kondensierter Zeit unglaublich viel. Corona ist dann nicht nur gefährlicher Virus, sondern für viele auch ein rasanter Crashkurs „Digitalisierung“, was wiederum Chancen bietet.

Haben Sie Tipps wie man sich in dieser Zeit die Langeweile vertreiben kann?

Bei mir persönlich kommt Langeweile irgendwie nie auf. :)

Ich finde einfach so unfassbar viele Sachen so super interessant, dass ich Leute fast gar nicht verstehen kann, die sich von Langeweile nerven lassen. Ich habe auch immer so viele Ideen, dass ich nie dazu komme, alle zu verwirklichen. Aber klar, ein paar Sachen fallen mir da schon ein. Sehr gut ist in einer Zeit, in der man sich physisch-sozial abkoppeln soll, sich mal mit sich selbst zu beschäftigen. Man selbst ist doch immer da! Und doch vergisst man sich manchmal im Alltag. Vielleicht lernt sich einer nun selbst nochmal von einer ganz anderen Seite kennen, das wäre doch toll.

Ansonsten bietet es sich ja schier an, komplett die Entschleunigung mitzugehen, sich mal wieder ein gutes Buch zu schnappen, den Keller zu entrümpeln, den Garten auf Vordermann zu bringen (das machen wir gerade), Filmdates mit dem Ehepartner zu machen, endlich mal die gesamte Carrerabahn mit den Kindern aufzubauen. Vielleicht hat man nun endlich mal Zeit das aufwändige Gericht für die Familie zu kochen oder die Yoga-App, die schon seit einem Jahr auf dem Smartphone installiert ist, auch mal zu öffnen. Bei allen Sorgen, die einen nun auch begleiten, habe ich mir einen Tipp von einer Psychologin aus einer Talkshow zu Corona mitgenommen, die sinngemäß meinte: Nachdenken ist zwar gut, aber man kommt sehr schnell in Gedankenschleifen, die einen mürbe machen können. Es ist gut, ganz andere Dinge zu tun, die einen erfüllen, dabei fallen einem nicht selten die besten Ideen ein. So handhabe ich das zurzeit auch. Ich nehme mir momentan endlich mal wieder Zeit nur für mich, nicht als Job oder Unterrichtsvorbereitung, Gitarre zu spielen. Ich lade mir einen der zahlreich verfügbaren Jam-Along-Backing-Tracks von YouTube und dudel dann einfach frei los improvisierte Soli zu Blues, Bossa Nova oder anderen Songs. Das befreit mich richtig und häufig fällt mir dann wieder etwas ein, was ich sofort umsetzen kann.

Haben Sie Angst, dass sich ihre finanzielle Situation in den kommenden Wochen dramatisch verschlechtern wird?

Diese Angst habe leider sehr. Ich probiere immer positiv zu bleiben, aber wie bereits erwähnt kann ich bereits in naher Zukunft geplante Bildungsprojekte nicht wahrnehmen, je nachdem muss ich weiterhin mit geschlossenen Musikschulen klarkommen und weiterhin auf anderen Pfaden darauf achten, dass nicht alles einknickt. Schwierig für mich als Musiker ist dann des Weiteren, dass ich meine anderen Standbeine, wie Studioarbeit oder live spielen, auch nicht aktivieren kann, solange Kontaktsperren (die ich für absolut sinnvoll erachte!) herrschen. Sonst fühle ich mich mit meinem Konzept des Patchworkens innerhalb musikalischer Themen (Musikunterricht, Livejobs, Studiojobs, Workshops) immer einigermaßen sicher und auch schön variabel gefordert, aber nun muss ich bemerken, dass quasi all meine Jobfelder betroffen sind.

Sie sind auch als Dozent beim Euro Rock dabei. Glauben Sie, Euro Rock kann dieses Jahr (17. bis 26. Juli) durchgeführt werden?

Wir sind aktuell vernetzt mit dem Dozententeam von Euro Rock und blicken ziemlich sorgenvoll mit einer Mischung aus Pessimismus und Realismus in die Zukunft. Besonders schwierig ist die Situation, da es sich ja um eine Pandemie handelt, die wiederum in den verschiedenen Ländern als eigenständig sich entwickelnde Epidemie (ich hoffe ich verwende die Termini überhaupt richtig)

passiert. Das heißt für uns konkret: selbst wenn bis Juli die Situation in Deutschland einigermaßen eingerenkt ist, kann es in den teilnehmenden Ländern noch oder wieder ganz anders aussehen. Zudem geht es bei dem Projekt um den unmittelbaren Austausch zwischen jungen Musikern, die in neu formierten Bands den ganzen Tag über miteinander in Proberäumen und Konzerten Musik machen. Wir sind immer eine ziemlich große Truppe mit teilnehmenden Bands, sowie Begleitern, Dozenten, Coaches etc. die die Workshop Woche (bzw. bis zu 10 Tage) in engstem Austausch miteinander stehen. Hier ließe sich selbst bei sorgsamstem Umgang und Berücksichtigung

aller ja hinlänglich bekannten Anti-Corona Maßnahmen wohl kaum eine Ansteckung verhindern, wodurch die Teilnehmer*innen wiederum nicht nur für sich selbst, sondern bei Heimreise auch für ihr Umfeld zu wahnsinnig gefährlichen Bedrohungen werden würden.

Wir sind einerseits mit dem Dozententeam im Gespräch, halten die Lage im Blick und haben uns eine Deadline gesetzt, zu der wir von uns aus entscheiden werden. Wobei ganz klar ist: die Entscheidung wird nicht nur bei uns liegen, denn wir agieren ja im Rahmen der europäischen Maßnahmen sowie der individuellen Länder und hier kann es sein, dass Restriktionen und Reiseverbote klare Punkte sind.

Eine aktuelle Arbeit von ihnen ist das Projekt „Jugendhilfe Köln - Art_ists Projekt“. Können Sie uns etwas über den Verlauf dieses Projektes berichten. Beispielsweise Eindrücke die Sie bisher gesammelt haben.

„Art_ists - Kunst von der Straße“ ist ein tolles Projekt der Jugendhilfe Köln, welches im Rahmen des Innovationsfonds des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wurde. Einige ausgewählte Projekte aus verschiedenen Bereichen konnten in diesem Rahmen ihre Ideen bezüglich einer jugendgerechten Gesellschaft in die Tat umsetzen. Bei Art_ists ging es darum, jungen wohnungslosen Menschen (das kann jemand ohne Obdach sein, jemand, der in einer Einrichtung untergekommen ist, jemand, der bei einem Freund auf der Couch übernachtet) ein kreatives Angebot zu eröffnen, welches sie selbst gestalten können. Die Teilnehmer*innen können sich also wünschen: „Ich möchte lernen, wie man Podcasts macht.“ „Ich möchte Graffitis sprayen.“ „Ich will mal einen eigenen Song schreiben.“ „Mich interessiert, wie man tanzt.“ Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Jugendliche und junge Erwachsene, die möglicherweise schon durch viele Maßnahmen nicht gut durchgekommen sind, die teilweise durch alle Raster für Bezüge fallen, die keine tolle Bewerbungsmappe vorzuzeigen haben sofort und niederschwellig einzuladen und im gleichen Zuge direkt zu mündigen Entscheidern zu machen. Viele wissen gar nicht (mehr), dass sie selbst ziemlich viel entscheiden und gestalten können.

Da ein großer Wunsch war, Songs zu schreiben und Beats zu produzieren, bin ich über die Erfinderin und Leiterin Daniele Hofgärtner zu diesem Projekt gestoßen. Die Arbeit war für mich etwas ganz Neues und hat großen Spaß gemacht, ich habe tolle Talente kennengelernt, die im Inneren bereits tolle Musiker und Künstler waren. Das konnte ich dann über meine Arbeit hervorholen. Ganz getreu dem oben beschriebenen Motto der Niederschwelligkeit ging es hier nicht um einen Contest, oder darum perfekt zu sein, sondern zu lernen, eine Idee nicht nur zu entwickeln, sondern auch konsequent bis zum  Ende zu denken. Das Selbermachen stand immer im Vordergrund und so haben wir Gesangseffektgeräte, Synthies, Drum Controller und Gitarren in unserem Raum verteilt und Anreize geschafft, alles zu benutzen, wie es einem in den Sinn kommt. Wir konnten die Teilnehmer*innen ziemlich schnell für irgendeinen „Startschuss“ begeistern, woraus wir dann einen Song entwickeln konnten. Einer konnte vielleicht ein paar Griffe auf der Gitarre, ein anderer trommelte auf der Drummachine rum, der nächste konnte vielleicht gar nichts spielen, aber hatte einen Text parat und rhythmisches Gespür. Am Ende haben wir mit einzelnen Künstlern ihre eigenen Songs ausproduziert und mit Musikvideos versehen. Die Talente wurden zu Produzenten, Regisseuren, Musikern, Songwritern und konnten so ihr Selbstbewusstsein aufbauen und festigen. Denn der Song ist nun konserviert und enthält ganz viele Momente von „wow, das hab ich geschafft!“ und kann für ein weiteres, positives Beschreiten der eigenen Biografie ausrüsten.

Die Songs und Videos finden sich übrigens auf unserem YouTube-Channel: https://www.youtube.com/channel/UCGw9vi4JCHe-Fi7pY2X_xeQ

Übrigens konnten wir bereits Folgeprojekte durchführen, aber weitere liegen momentan natürlich ebenfalls wegen Corona auf Eis.

Es klingt vielleicht paradox und ein bisschen verschwurbelt, aber sehen Sie in der momentanen Isolation bzw. dem gesellschaftlichen Shutdown auch eine Chance, für Sie, als kreativen Musiker, als auch für unser Miteinander in der Zukunft?

Ich sehe tatsächlich einige Chancen in den eigentlich üblen Umständen. Ich denke, dass es für jeden die Chance bietet, sich auf das Wesentliche zu beziehen und individuell überhaupt herauszufinden, was „das Wesentliche“ überhaupt ist.

Des Weiteren werden momentan durch die vielen Home Offices neue Strukturen geschaffen, die sich ja auch später weiterhin nutzen lassen. Unter anderem der Umweltaspekt ist dabei ja enorm! So unmittelbar ins kalte Wasser Geworfene sind manche wohl im Home Office zunächst überfordert und müssen erstmal Arbeit und Alltag sortieren, aber es gibt ja mittlerweile auch Erkenntnisse, wie effizient das heimische Arbeiten sein kann.

Für mich selbst zeigt sich gerade, dass ich in Zukunft, ob als Sicherheit oder als neues Standbein, meine Onlinetätigkeiten erweitern möchte. Auch lerne ich gerade, meine eigene Kreativität wieder ernst zu nehmen. Auch wenn ich beruflich so viel mit Musik zu tun habe, vergesse ich darüber hinaus manchmal einfach mal eine Runde Gitarre zur Entspannung zu spielen, oder auch mal einen Song nur aus kreativem Fluss heraus zu komponieren. Dafür nehme ich mir gerade die Zeit und komme dabei ganz nebenbei auf immer weitere Ideen, die ich umsetzen möchte, und die mich selbst erfüllen. Ein weiterer Weg, den ich gerade herausfinde ist, wie ich durch Hin- und Herschicken von Songs und Audioprojekten weiterhin mit Musikern zusammen Songs entstehen lasse.

 

                                                                                                                                                                                                                                                            Lara-Sofie Boland

 

Weitere Informationen zu Andreas Klees finden sie unter folgenden Links:

https://www.kulturbeutel-duisburg.de/kuenstler/andreas-klees

https://andreashollywoodbacon.tumblr.com/

 

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